Männlichkeitslücke� in Ibbenbüren: Um die Jungs kümmern


[Borkener Zeitung, 14-05-09]

Von Wilm Froese

Ibbenbüren. Die Wirtschaftskrise ist männlich, Jugendgewalt ist männlich, die Frauen sind überall auf dem Vormarsch, weil sie das wirklich starke und intelligentere Geschlecht sind.

Das sind viel gehörte Schlagworte, denen gegenüber ein Buch mit dem Titel �Die Männlichkeitslücke. Warum wir uns um die Jungs kümmern müssen�, provokant wirkt. Kein Wunder, dass die Lesung von Dr. An-dreas Gössling aus seinem Buch am Mittwoch in der Familienbildungsstätte sehr gut besucht war.

Gemeinsam hatten die Fabi, die Stadtbücherei und der Buchladen Frank zu der Begegnung mit dem Coburger Germanisten eingeladen, der auch als Romanautor einen Namen hat. Davon war zunächst nicht viel zu merken, denn äußerst straff und Power-Point-unterstützt trug er seine Thesen vor, ohne Schnörkel und ohne Beispielerzählungen.

Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte ging voran: Jungen sind auf den Haupt- und Sonderschulen in der Mehrheit, auf den Gymnasien schon die Minderheit. Ihre Schulabschlüsse sind schlechter. �Eine vierspurige Verliererstraße� sei das Schulwesen für die �Jungs�. Das Verhältnis der Jugendlichen, die ihr Berufsleben mit Arbeitslosigkeit beginnen, verschob sich zum Nachteil der jungen Männer (wobei sich allerdings auch die Zahl der �typisch männlichen� Arbeitsplätze zugunsten der eher den Frauen zugeordneten Arbeitsplätze verminderte).

Von psychosomatischen Erkrankungen sind Jungen weit überproportional betroffen. Und Jugendgewalt ist fast ausschließlich Jungen anzulasten. All das unabhängig von Schultyp, ethnischer Herkunft, sozialer Stellung der Eltern oder der formalen Familienkonstellation.

Die Ursache sei auf gar keinen Fall, das Jungen wirklich weniger intelligent und wirklich krankheitsanfälliger seien. Aber zu dem seit Beginn der industriellen Revolution beklagten Rückzug der Väter aus der Erziehung komme nun auch ein fast totales Verschwinden männlicher Bezugspersonen in Vor- und Grundschule. Statt der bei Einführung der Schulpflicht befürchteten �öffentlichen Nebenväter� gebe es nun �öffentliche Nebenmütter�. Dadurch fehle den Jungen ein Vorbild, das allerdings nun nicht ein tradiertes Männerbild vermitteln solle.

Bedingt unter anderem dadurch gebe es eine �Bewertungskrise�, die die Jungen (nach einer von der Soziologin Heike Diefenbach durchgeführten Untersuchung) nicht nur bei der Wertigkeit ihrer speziellen Fähigkeiten etwa im technischen Bereich, sondern auch bei gleicher messbarer Leistung in der Beurteilung benachteilige. Und zwar in steigendem Maße mit steigendem Prozentsatz den Lehrerinnen an einer Schule.

Bei den Lösungsvorschlägen standen die Investitionen in die Bildung im Vordergrund. Einerseits müsste ein Studium Voraussetzung zum Erzieherberuf werden, der dann auch besser bezahlt werden müsse (�Tierpflegerinnen verdienen mehr als Erzieherinnen�). Andererseits müsse die Zahl der Schüler pro Lehrkraft drastisch gesenkt werden, auch um mehr Raum zu schaffen, damit Schülerverhalten nicht die Notengebung beeinflusst. Eine zweite Schiene zur Lösung sah Gössling in einer besseren Vernetzung der �beiden Hemisphären Bildungswesen und Wirtschaft�, was etwa zur Abschaffung der Hauptschule führen werde.

Und drittens müsse man nach Wegen suchen, wie ein modernes Männerbild durch �private Förderväter� und männliche Lehrer, die �näher bei den Schülern�, also auch jünger sein sollten, vermittelt werden kann. Denn im besten Fall suchen sich Jungen sowieso �psychosoziale Nebenväter� im Sportverein oder im Jugendtreff.

Anders als erwartet gab es in der Diskussion keine Kontroverse über die Thesen selbst, sondern überwiegend Berichte betroffener Eltern und Lehrpersonen. Viele bestätigten Gösslings Gedanken, die nach der detaillierten Darstellung und den von ihnen vorgetragenen Beispielen gar nicht mehr provokant wirkten. Die meisten wünschten sich aber als Sofortmaßnahmen viel zeitnähere Lösungsmöglichkeiten. Da war eine solche Veranstaltung, die diese nicht nur für die Betroffenen persönlich belastende, sondern auch volkswirtschaftlich nicht hinnehmbare Entwicklung in möglichen Ursachen und Wirkungen bewusst machte, ein erster Schritt.